Seit Jahrhunderten gelten Extrakte aus Birkenrinde als traditionelle Heilmittel, die dafür sorgen, dass sich verletzte Haut rascher regeneriert.
Forscherinnen um Prof. Dr. Irmgard Merfort vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau haben nun auf molekularer Ebene geklärt, wie die wundheilende Wirkung eines Birkenextraktes aus der äußeren, weißen Schicht der Rinde des Baumes zustande kommt.
Ihre Resultate haben die Wissenschaftlerinnen in der Fachzeitschrift „Plos One“ publiziert.
Das Team arbeitete mit mehreren weiteren Einrichtungen und Instituten zusammen, so mit einer Arbeitsgruppe vom Institut für Molekulare Medizin und Zellforschung sowie dem Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Albert-Ludwigs-Universität und einer Arbeitsgruppe an der Hautklinik der Universität Hamburg.
Wie beeinflusst Betulin die Wundheilung?
In der ersten Phase der Wundheilung schütten die verletzten Hautzellen bestimmte Substanzen aus, die eine vorübergehende Entzündung auslösen. Diese Stoffe locken Fresszellen an, die eingedrungene Bakterien sowie totes Gewebe beseitigen. Die Freiburger Forscherinnen stellten fest, dass der Birkenkork-Extrakt und speziell dessen Hauptbestandteil Betulin die Anzahl dieser Entzündungsstoffe vorübergehend steigern.
Wie steigert Betulin die Anzahl der Entzündungsstoffe?
Diese Entzündungsstoffe sind Proteine (Eiweissstoffe). Damit im Organismus ein Protein hergestellt werden kann, muss sein Bauplan vom Erbgut abgelesen werden. Dazu muss ein Gen vorerst in Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) übersetzt werden.
Der Naturstoff Betulin aktiviert nun Proteine, welche die Halbwertszeit von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) verlängern.
Durch Betulin verdreifacht sich die Zeit, in der die mRNA eines bestimmten Botenstoffs stabil ist. Auf diese Art und Weise sorgt Betulin dafür, dass mehr von den Entzündungsstoffen hergestellt werden können.
Der Birkenkork-Extrakt und Betulin stabilisieren ausserdem die mRNA weiterer Botenstoffe.
In der zweiten Phase der Wundheilung wandern Hautzellen und schließen die Verletzung. Der Birkenkork-Extrakt und seine Bestandteile Betulin sowie Lupeol fördern diesen Vorgang. Sie aktivieren Proteine, die am Umbau des Aktin-Zytoskeletts beteiligt sind. Dieses verschafft der Zelle mithilfe des Strukturproteins Aktin ihre Form. Dadurch bewirken die Substanzen aus der Birke, dass Keratinozyten – die in der oberen Hautschicht überwiegend vertretenen Zellen – rascher in die Wunde wandern und sie ausfüllen können.
Quelle:
http://idw-online.de/pages/de/news570502
Originalpublikation:
Ebeling, S./Naumann, K./Pollok, S./Vidal-y-Sy, S./Wardecki, T./Nascimento, J. M./ Boerries, M./Schmidt, G./Brandner, J. M./Merfort, I. (2013): From a traditional medicinal plant to a rational drug: understanding the clinically proven wound healing efficacy of birch bark extract. In: PLOS ONE. DOI: 10.1371/journal.pone.0086147
http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0086147
Kommentar & Ergänzung:
Der Naturstoff Betulin wurde 1788 erstmals isoliert und beschrieben. Er wird als Trockenextrakt zusammen mit Betulinsäure, Lupeol, Erythrodiol und Oleanolsäure aus dem weißen Birkenkork gewonnen.
Betulin entfaltet interessante pharmakologische Wirkungen an der Haut: Viele Publikationen bescheinigen dem Stoff und nahe verwandten Triterpenen antientzündliche, antiproliferative, antimikrobielle, antivirale, hepatoprotektive und wundheilende Wirkungen. Laut Wikipedia entfallen bis zu 34 Prozent der Trockenmasse des weißen Birkenkorks auf Betulin, im Durchschnitt sind es 22 Prozent.
Betulin ist allerdings praktisch unlöslich in Wasser. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass Betulin trotz interessanter pharmakologischer Wirkungen bisher nur spärlich zum Einsatz kommt. Es ist nämlich nicht einfach, Betulin in eine geeignete Anwendungsform zu bringen. Wässrige Umschläge mit Auszügen aus Birkenkork zur Beschleunigung der Wundheilung – diese Idee tönt zwar interessant, wird aber wohl nicht funktionieren. Eine Salbe aus Birkenkorkextrakt und Sonnenblumenöl wurde hingegen inzwischen an Patientinnen und Patienten erfolgreich getestet und wartet auf die Zulassung.
Die vielfältigen pharmakologischen Wirkungen von Betulin wurden allerdings vor allem in Tierexperimenten mit hohen Dosierungen erreicht. Wie weit sich solche Ergebnisse auf eine Behandlungssituation beim Menschen übertragen lassen, ist eine noch weitgehend offene Frage.
Das Beispiel Betulin zeigt, wie komplex es in den meisten Fällen ist, Ergebnisse aus der experimentellen Forschung in eine erfolgreiche Anwendung bei Patientinnen und Patienten umzusetzen.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch